Ragnar Kjartansson
geboren 1976 in Reykjavík, Island, lebt in Reykjavík, Island
1997–2001 Studium an der Iceland Academy of the Arts in Reykjavík
2000 Studium an der Royal Academy, Stockholm
Während seiner Studienzeit persönliche Begegnungen mit dem amerikanischen Konzeptkünstler John Baldessari und den Performancekünstlerinnen Carolee Schneemann und Marina Abramović
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Bildende Kunst
Als Sohn der Schauspielerin Guðrún Ásmundsdóttir und des Theaterregisseurs Kjartan Ragnarsson kommt Ragnar Kjartansson früh mit dem Theater und der Musik in Kontakt.
Immer wiederkehrende Themen seines Schaffens sind das Künstlersujet beziehungsweise die Vorstellungen von dessen Rolle wie auch von dessen Leben und Arbeit, die er im Rahmen von Performances aufgreift. Extreme Dauer und damit verbundene körperliche Anstrengungen sind oft formale Charakteristika seiner für fotografische wie filmische Aufzeichnungen inszenierten Arbeiten.
Kjartanssons erstes Werk, Me and My Mother (2000), zeigt, wie ihn seine Mutter vor einem Bücherregal bespuckt. Mit konzeptueller Konsequenz wiederholen die beiden diese Szene alle fünf Jahre.
2008 inszeniert er sich in seiner Blossoming Trees Performance als impressionistischen Pleinairmaler.
Der internationale Durchbruch gelingt Kjartansson, als er 2009 Island auf der Biennale in Venedig vertritt. In der performativen Inszenierung The End malt er vor Ort, im Palazzo Michiel del Brusà am Canal Grande, sechs Monate lang jeden Tag ein Gemälde eines männlichen Models in Badehose.
Dabei bedient er den Topos des sich an einem Sujet abarbeitenden Malers und das Klischee des Biertrinkens und Rauchens im Ateliers. Als Überreste dieser Handlungen sammeln sich die Bilder ebenso wie die leeren Flaschen im temporären Atelier an. In Nebenraum läuft ein Video, das ein wieder anderes Bild vom kreativen Menschen transportiert. Gedreht im Schnee der kanadischen Rocky Mountains, zeigt es Kjartansson mit dem Musiker David Thor Jonsson, die ein eigenartiges Countrymusic-Arrangement spielen.
2014 inszeniert Kjartansson im Ausstellungsraum der TBA21 (Thyssen-Bornemisza Art Contemporary) im Wiener Augarten mit einer Truppe aus Musiker*innen, Schauspieler*innen, Kostümbildner*innen, Kameraleuten und Technikcrew den Film The Palace of the Summerland nach der Vorlage von Weltlicht, einem Roman des isländischen Schriftstellers Halldór Laxness. Den Ausstellungsraum verwandelt Kjartansson in ein Filmstudio, in dem über mehrere Stunden täglich live vor Publikum performt wird.
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Ragnar Kjartansson, »The End (paintings)«, 2009 ...mehr
Ausstellungsansicht mit den Gemälden der 53. Biennale di Venezia in der Luhring Augustine Gallery, New York, 2010. Öl auf Leinwand, verschiedene Maße. Courtesy Luhring Aaugustine; Bild via farticulate.files.wordpress.com; © Ragnar Kjartansson
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Musik
Kjartansson wählt das Kunststudium, weil es ihm mehr Freiheit bietet als ein klassisches Musik- oder Theaterstudium. Seine Vorliebe für Musik verfolgt er währenddessen aber konsequent. Nach seinem Studienabschluss 2001 arbeitet er in einer Werbefirma und schließt sich der Electroclash-Band Trabant als Sänger an. Das 2005 erschienene Album Emotional bildet einen Höhepunkt der Bandgeschichte. Darauf sind die in Island erfolgreichen Songs »Nasty Boy« und »The One« enthalten. Letzterer erhält den Icelandic Music Award als bestes Musikvideo 2006.
Nach wie vor pflegt Kjartansson enge Verbindungen mit der isländischen Musikszene. Mit Kjartan Sveinsson, einem ehemaligen Mitglied der Gruppe Sigur Rós, realisiert er seine »Oper in einem Akt« Krieg an der Volksbühne Berlin. Mit der US-Band The National spielt er sechs Stunden lang im MoMA PS1 deren Song »Sorrow« im Loop, später veröffentlicht als A Lot of Sorrow.
In seinem bildnerischen Schaffen gibt es zahlreiche Grenzüberschreitungen zur Musik. Kjartansson selbst spricht, angelehnt an einen Liedtitel von Franz Schubert, von einer Kunst »an die Musik«. Seine Installation The Visitors, die 2012 für das Migros-Museum für Gegenwartskunst in Zürich entsteht, besteht aus neun Videos. Gefilmt wurde auf dem Rokeby-Farm-Anwesen der Familie Astor in Upstate New York. In neun verschiedenen Innen- wie Außenräumen dieses Herrensitzes spielen beziehungsweise singen jeweils eine oder mehrere Personen ein Lied von Ásdís Sif Gunnarsdóttir, Kjartanssons Ex-Frau, und wiederholen es über mehrere Stunden. Wie in einem Aufnahmestudio sind die auf verschiedene Orte verteilten Musizierenden über Kopfhörer miteinander verbunden. In der Ausstellung laufen die einzelnen Videos simultan nebeneinander. Während in der Mitte des Raumes deren Zusammenspiel zu hören ist, sind vor den einzelnen Videos nur die jeweiligen Instrumente zu vernehmen.
2013 lässt Kjartansson auf der Biennale von Venedig ein Boot, die S.S. Hangover, stündlich im Becken des Arsenale auslaufen. Ein bisschen an ein Wikingerschiff erinnernd, fährt es unter der Flagge eines fetten Pegasus, für Kjartansson ein Symbol für das Bestreben des Künstlers, ungeahnte Höhen zu erreichen. Während der kurzen Ausfahrt spielt an Bord ein Bläsersextett laut und vernehmlich pathetisch traurige Musik.
In der Ausstellung
Trabant
The One, 2006, mit Vidar Hákon Gíslason (guit., bass guit.), Thorvaldur H. Gröndal (dr.), Ragnar Kjartansson (voc.), Gísli Galdur Thorgeirsson (turntable), Hlynur Adils Vilmarsson (keyboard), 3:33 min
Film: Reynir Lyngdal, Courtesy of the artists
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In diesem Video inszenieren sich Kjartansson und Trabant als Klischee-Disco-Pop-Band.
Autor*in:
Lena Nieper